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Artikel vom Pressespiegel Author: Mitteldeutsche Zeitung Wittenberg Druckansicht

Adenauer-Stiftung

In Wittenberg wird über Folgen des Brexit für Europa nachgedacht

Wittenberg

Der ältere Herr stellt sich als „Wittenberger Urgestein“ vor, von Nick Leake will er wissen, ob der Brexit die Reisefreiheit für Touristen gefährdet. Leake ist britischer Botschaftsrat, seine Antwort fällt in gewisser Weise sibyllinisch aus, sie klingt so: Es müsste vieles schiefgehen, um eine Situation zu erreichen, wo europäische Staatsbürger Probleme bei der Einreise nach Großbritannien bekommen. „Sie brauchen natürlich einen Reisepass.“ Okay.

Es ist Dienstagabend, in der Evangelischen Akademie in Wittenberg steuert eine Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung (Bildungsforum Sachsen-Anhalt) auf ihre Halbzeit zu. Im Mittelpunkt stehen der geplante Brexit und Konsequenzen für die Europäische Union. Neben Leake sind die Politikwissenschaftler Sebastian Trept (Technische Universität Dresden) und Ulrich Brückner (Stanford University, Team Europe Deutschland) als Referenten zu Gast. Es moderiert der Gräfenhainichener CDU-Stadtrat Sepp Müller.

Während Trept davon ausgeht, dass nationale Interessen die Austrittsverhandlungen prägen werden („Es wird hart und gemein“), empfiehlt Brückner nicht zuletzt den Anwesenden, dem europäischen Projekt „gewogen“ zu bleiben. Es werde so schnell nichts Besseres geben, sagt er über jene große zivilisatorische Leistung, „Unterschiede nicht mehr auf dem Schlachtfeld auszufechten“, sondern in Unterschiedlichkeit friedlich zusammenzuleben.

Keine gute Idee sei eine Rückkehr zur Kleinstaaterei angesichts der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, auch wenn Populisten mit ihrem Gerede vom Nationalstaat in diesen Tagen Hochkonjunktur haben. Und an die Adresse der Briten gerichtet ist wohl dieser Satz: „Man muss auch Kröten schlucken, um die Vorteile einzufahren.“ Sonst sei man ein Trittbrettfahrer.

Was genau England sein wird, wenn der Brexit dereinst abgewickelt ist, wie sich das auf Europa auswirkt, dazu können freilich in Wittenberg keine abschließenden Aussagen getroffen werden. Es geht ums große Ganze, den Zugang zum Binnenmarkt, Arbeitnehmerfreizügigkeit, um sonstige Zuzüge, auch um gemeinsame Werte, um, so Leake, eine „besondere und tiefe Partnerschaft“, die sein Land sich auch künftig mit der EU wünsche.

Aus den Reihen der Besucher, zwei Dutzend sind es wohl, klingt auch Besorgnis. Wird der Brexit zu weiteren Austritten führen?, lautet eine Frage, auf die es ebenfalls keine endgültige Antwort geben kann, weil es bis dato für den Austritt eines Mitgliedstaates aus der EU keinerlei Präzedenzfall gibt.

So bleibt vieles Spekulation an diesem kühlen Aprilabend in der Lutherstadt. Die Nachricht aus dem Vereinigten Königreich, dass dessen Premierministerin Theresa May vorgezogene Neuwahlen will, um sich die Unterstützung des Parlaments für den Brexit zu sichern, ist da gerade wenige Stunden alt.

Eine Rolle wird sie bei den Überlegungen in der Akademie nicht spielen, außer dass Alexandra Mehnert von der Adenauer-Stiftung sagt, „es könnte keinen aktuelleren Zeitpunkt als heute Abend geben“ für eine Veranstaltung wie diese. (mz)